Waldesruh - Johanns Heimfahrt

Am 17. Dezember 1947 stirbt Johann Proske im Wald bei Neuweißenborn. Er wurde 69 Jahre alt.

 

Es ist Weihnachtszeit in Sachsen, zwei Jahre nach Kriegsende. Meine Mutter hat ein kleines Geschäft in Wurzen und verkauft das, was es schon wieder gibt. Auch Christbäume gehören zu dieser Jahreszeit dazu. Sie werden beim Förster bestellt und im Wald abgeholt, um sie dann den Kunden in der Stadt anzubieten. Mein Stiefvater Johann fährt darum an jenem 17. Dezember mit unserem Pferdefuhrwerk und dem Hund Flockie nach Neuweißenborn, um die bestellten Bäume beim Förster abzuholen. Es liegt etwas Schnee und es ist frostig draußen, der Weg auf dem Kutschbock wird sich in die Länge ziehen. Johann lamentiert, da fehle etwas Schnaps zum Aufwärmen, und schaut mich schelmisch an. Weiß er doch, ich mag es nicht so, wenn er Schnaps trinkt. Dann fährt er los.

 

Das Aufladen der Christbäume hat begonnen. Inzwischen ist mein Mann Kurt mit dem Fahrrad nachgekommen und hilft im Wald bei der Arbeit. Die Forstfrauen bringen die Bäumchen aus dem Wald und Kurt reicht sie auf das Fuhrwerk, wo Johann die Ladung verstaut. Plötzlich hält er inne und sagt noch, ihm wird schlecht. Dann rutscht er zusammen. Kurt bringt ihn erst mal nach Neuweißenborn ins Forsthaus.

 

Zu Hause in Wurzen erreicht uns die telefonische Nachricht, dass Johann verunglückt ist und jemand kommen soll. Meine Mutter muss im Laden bleiben und schickt mich mit dem Fahrrad los, ein paar Decken auf dem Gepäckträger. Doch als ich im Forsthaus ankomme, hat der Arzt bereits den Tod festgestellt.

Wahrscheinlich starb Johann an einem Herzanfall beim Aufladen der Christbäume im Wald. Der Arzt aus Trebsen muss nun überzeugt werden, dass der Tote mit nach Wurzen genommen werden darf. Das ist in Frage gestellt, weil er im Gebiet um Trebsen starb und dort zuerst verbleiben soll. Schließlich dürfen wir Johann doch mitnehmen. Er wird auf die Ladung Weihnachtbäume gelegt und zugedeckt, dann fährt Kurt mit dem Fuhrwerk los in Richtung Wurzen. Ich kann mit dem Lastwagen eines anderen Wurzener Händlers mitfahren, der auch mein Fahrrad mitnimmt und mich nach Hause bringt. Dort muss ich meiner Mutter die traurige Nachricht von Johanns Tod überbringen.

 

Inzwischen ist es dunkel geworden und starker Schneefall hat eingesetzt. Kurt muss nun schon neben dem Pferdewagen laufen, er hat keine Beleuchtung mit. Die Strasse ist nicht mehr zu sehen, zum Glück sind kaum Kraftfahrzeuge unterwegs. In Wurzen mache ich mir Gedanken, ob wir ihm nicht mit einer Laterne entgegengehen sollten, um das Fuhrwerk in der Dunkelheit und bei dem Schneetreiben zu beleuchten. Schliesslich fährt ein Nachbar mit dem Fahrrad und einer Petroleumlampe los. Doch er verfehlt im Schneegestöber den Pferdewagen und kehrt dann um, so dass er den Wagen wieder einholt und die Lampe kurz vor Wurzen dann doch noch am Wagen anbringen kann.

 

Endlich daheim angekommen, müssen wir den Toten vom Schnee befreien. Wir bahren ihn in unserer Remise auf und bestellen die Totenfrau. Die Beerdigung findet dann noch vor Weihnachten auf dem Friedhof in Wurzen statt.

© 2008 by J.B.